Verfahren zur Feststellung der Ehenichtigkeit
Der Ehenichtigkeitsprozess
Liegen zum Zeitpunkt einer Eheschließung Umstände vor, die eine Ehe ungültig machen, so ist das den Partnern zumeist nicht bekannt. Ein Nichtigkeitsgrund wird deshalb erst nachträglich, oft erst nach dem Scheitern einer Ehe, erkannt und geltend gemacht.
Die bloße Behauptung, ein solcher Grund habe vorgelegen, genügt nicht für die Nichtigerklärung einer Ehe. Es muss vielmehr nachgewiesen werden, dass der angegebene Grund zur Zeit der Heirat tatsächlich vorlag. Das geschieht im Rahmen eines kirchlichen Gerichtsverfahrens. Sind die Gründe, die die Ungültigkeit der Eheschließung bewirkt haben, offenkundig oder leicht beweisbar - z. B. ein Ehehindernis, das mittels Dokumenten bewiesen werden kann -, können verkürzte Verfahrenswege wie der Dokumentenprozess oder der sog. "kürzere Prozess" beschritten werden. Bei offenkundigen Formfehlern wird die Ungültigkeit der Eheschließung auf dem Verwaltungsweg festgestellt.
Die Anforderungen an die Feststellung der Ehenichtigkeit sind hoch. Der Gesetzgeber will damit gewährleisten: Ehen sollen nicht vorschnell oder ohne gründliche Prüfung für ungültig erklärt werden. Außerdem soll nicht der falsche Eindruck entstehen, die Ehenichtigkeitsfeststellung sei die kirchliche Form der Ehescheidung.
Wenn das kirchliche Gericht eine Ehe annulliert, stellt es fest, dass kein Eheband entstanden ist. Jenseits der rechtlichen Grenzen behält freilich die Ehe ihr Gewicht und ihre Würde, die das kirchliche Gericht auch einer gescheiterten Beziehung nicht abspricht. Die gelebte Zeit lässt sich nicht aus der Biographie der Partner streichen. Es gibt moralische Verpflichtungen, die von der Annullierung nicht berührt werden. Kinder aus einer ursprünglich für gültig gehaltenen Ehe bleiben ehelich.
Zuständige Gerichte
Wer die Nichtigkeit seiner Ehe prüfen lassen möchte, sollte sich zunächst im Rahmen eines kostenlosen Beratungsgesprächs umfassend informieren. Ansprechpartner sind die Mitarbeiter der Bischöflichen Gerichte.
Kommt es zu einem Eheprozess, sind die prozessrechtlichen Zuständigkeitsregeln zu beachten. Ein Ehenichtigkeitsverfahren kann in erster Instanz durchgeführt werden
- beim Gericht der Diözese, in der die Ehe geschlossen wurde;
- beim Gericht der Diözese, in deren Gebiet einer der Ehegatten wohnt;
- beim Gericht der Diözese, in deren Gebiet die meisten Beweise zu erheben sind.
Der Antragsteller kann unter den in Frage kommenden Gerichten eines auswählen. Eine erste Orientierung darüber, zu welchem kirchlichen Gericht ein bestimmter Ort gehört, bietet die Übersicht über die Offizialate deutschsprachiger Diözesen.
Jedem diözesanen Gericht ist ein anderes als zweite Instanz zugeordnet. Mit der Wahl des erstinstanzlichen Gerichts liegt der weitere Instanzenzug fest. Berufungsgericht für das Bistum Limburg ist das Offizialat des Erzbistums Köln, wobei alternativ immer auch die Römische Rota als Berufungsgericht angegangen werden kann.
Das ordentliche Berufungsgericht dritter Instanz ist die Römische Rota. Der Apostolische Stuhl kann auf einen entsprechenden Antrag hin anordnen, dass das drittinstanzliche Verfahren nicht in Rom durchgeführt wird, sondern in dem Land, in dem der Antragsteller lebt. Näheres legt die zuständige römische Behörde fest.
Verfahren in erster Instanz
Ein Ehenichtigkeitsprozess beginnt mit dem Klageantrag. Er kann von jedem der beiden Partner einer gescheiterten Ehe gestellt werden. Auch Nichtkatholiken sind klageberechtigt. Dritte, zum Beispiel ein neuer Ehepartner oder die Eltern der Eheleute, haben kein Klagerecht. Der Antrag kann gestellt werden, wenn sicher feststeht, dass eine Ehe definitiv gescheitert ist. Die zivile Scheidung muss nicht abgewartet werden.
Bei der Erstellung einer Klageschrift sind die Mitarbeiter der kirchlichen Gerichte gerne behilflich. Sie stehen auch für ein Beratungsgespräch zur Verfügung. Es gibt Aufschluss über die Möglichkeiten und Chancen eines Prozesses und sollte vor Einreichung der Klageschrift wahrgenommen werden.
Spätestens mit der Annahme der Klageschrift durch den zuständigen Richter, wird der nichtklagende Ehepartner über den anstehenden Prozess informiert. Besser wird er bereits zuvor durch den Kläger von dessen Vorhaben in Kenntnis gesetzt. Außerdem wird festgelegt, welche Nichtigkeitsgründe im Verfahren zu prüfen sind und welche Mitarbeiter für das Verfahren zuständig sind.
Der frühere Ehepartner der Antragstellerin oder des Antragstellers ist nichtklagende Partei, nicht Angeklagter. Die Klage richtet sich nicht gegen ihn, sondern gegen die vorausgesetzte Annahme, die Ehe sei kirchenrechtlich gültig. Auch geht es im Prozess nicht um die Frage, wer am Scheitern der Ehe schuld war. Zu prüfen ist, ob die benannten Nichtigkeitsgründe zum Zeitpunkt der Heirat vorlagen oder nicht.
Im Rahmen der anschließenden Beweisaufnahme werden beide Partner der gescheiterten Ehe gerichtlich befragt. Außerdem sind Zeugen anzuhören, das heißt Personen aus dem Umfeld der Parteien. Die Anhörungen werden einzeln, unter Ausschluss Dritter, durchgeführt. Es werden schriftliche Protokolle erstellt. Die Fragen betreffen die Vorgeschichte und den Verlauf der Ehe und insbesondere die angeführten Nichtigkeitsgründe. Am Ende der Beweisaufnahme haben die Parteien die Gelegenheit, die Prozessakten einzusehen. Danach können sie ergänzende Beweisanträge stellen oder Stellungnahmen einreichen.
Der nichtklagende Partner hat das Recht, am Prozess beteiligt und zur Sache gehört zu werden. Er darf nicht gegen seinen Willen vom Verfahren ferngehalten werden. Weigert er sich hingegen, am Verfahren teilzunehmen, dann kann er damit unter Umständen die Beweisführung erschweren. Die Durchführung des Prozesses und gegebenenfalls die Nichtigerklärung der Ehe kann er auf diese Weise nicht verhindern.
An jedem Eheprozess ist ein sogenannter Ehebandverteidiger beteiligt. Seine Aufgabe ist es, nach Abschluss der Beweisaufnahme alles geltend zu machen, was gegen die Feststellung der Ehenichtigkeit spricht. Seine schriftliche Stellungnahme wird den Parteien mitgeteilt, die darauf antworten können.
Schließlich kommt es zur Urteilsfindung. An einem Ehenichtigkeitsverfahren sind in der Regel drei Richter beteiligt. Sie haben das vorliegende Beweismaterial zu prüfen. Unter Einbeziehung aller Stellungnahmen muss jeder von ihnen für sich entscheiden, ob moralische Gewissheit über die Nichtigkeit der beklagten Ehe besteht. Die Voten werden in eine abschließende Urteilssitzung eingebracht. Dort wird das erstinstanzliche Urteil gefällt.
Das erstinstanzliche Urteil zugunsten der Ehenichtigkeit berechtigt zu einer neuen Eheschließung, sobald es formal rechtskräftig (anwendbar) ist und sofern keine anderen Hinderungsgründe entgegenstehen. Formal rechtskräftig wird das Urteil, wenn weder die Parteien noch der Ehebandverteidiger innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 15 Tagen, nachdem sie von dem Urteil Kenntnis genommen haben, Berufung einlegen. Über den Eintritt der formalen Rechtskraft werden die Parteien von Amts wegen informiert. Erst dann ist das Urteil anwendbar. Wird das erstinstanzliche Urteil für oder gegen die Nichtigkeit der Ehe von den Prozessparteien oder dem Ehebandverteidiger oder ggf. dem Kirchenanwalt angefochten, kann es zu einem zweitinstanzlichen Verfahren kommen.
Verfahren in zweiter oder höherer Instanz
- Hat die erste Instanz ihr Urteil zugunsten oder gegen die Gültigkeit der beklagten Ehe gesprochen, gelangt die Sache nur dann an das zweitinstanzliche Gericht, wenn das erstinstanzliche Urteil von den Parteien, dem Ehebandverteidiger oder ggf. dem Kirchenanwalt mittels einer Berufungsklage angefochten wird.
- Dient die Berufung offenkundig nur der Verzögerung, hat die zweite Instanz das Urteil der ersten Instanz mit einem Dekret zu bestätigen.
- Ist die zweite Instanz hingegen der Ansicht, die Angelegenheit bedürfe einer genaueren Überprüfung, muss ein ordentliches zweitinstanzliches Verfahren durchgeführt werden. Es läuft genauso ab wie ein ordentliches Verfahren I. Instanz. In diesem Fall ist immer ein Kollegium von drei Richtern zu bestellen; am Ende steht ein Urteil. Dieses kann den Spruch der ersten Instanz bestätigen oder zu einer anderen Entscheidung kommen.
Stets gilt:
- Das Urteil, das die Nichtigkeit einer Ehe erstmals festgestellt hat, ist nach Ablauf der Berufungsfristen für eine neue Eheschließung verwendbar.
- Bestätigt die zweite Instanz die erstinstanzliche Feststellung der Ehenichtigkeit, sind beide Partner aus dieser Ehe frei für eine neue Eheschließung, sofern keine anderen Hinderungsgründe bestehen.
- Kommen beide Instanzen zu dem Ergebnis, die Nichtigkeit der beklagten Ehe aus dem geltend gemachten Grund stehe nicht fest, ist eine weitere Berufung in der Regel nicht möglich.
- Fallen die Urteile der ersten beiden Instanzen unterschiedlich aus, kann ein drittinstanzliches Gericht angerufen werden. Dieses hat wiederum die Möglichkeit, ein vorhergehendes Urteil zugunsten der Ehenichtigkeit per Dekret zu bestätigen oder ein ordentliches Verfahren durchzuführen. Nach dem drittinstanzlichen Richterspruch liegen in der Regel zwei gleichlautende Urteile für oder gegen die Nichtigkeit der Ehe vor. Das Urteil der dritten Instanz ist deshalb verbindlich. Ausnahmsweise kann die Ehesache weitere Instanzen durchlaufen.
- Grundsätzlich kann eine Wiederaufnahme der Sache immer dann zugelassen werden, wenn sich neue Gesichtspunkte ergeben oder wenn neue schwerwiegende Beweise vorgelegt werden.
Verfahrensdauer
Die Dauer eines Eheprozesses hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. Es lassen sich daher nur unverbindliche Richtwerte angeben.
Alle Verfahren sollen nach dem Willen des Gesetzgebers möglichst bald zu Ende gebracht werden. In erster Instanz soll das Verfahren nicht länger als ein Jahr, in der zweiten Instanz nicht länger als sechs Monate dauern.
Die Gerichte arbeiten nach Kräften daran, den vorgegebenen Zeitrahmen einzuhalten. Möglich ist dies aber nur, wenn alle Prozessbeteiligten kooperieren, wenn also beispielsweise gesetzte Fristen beachtet oder Anhörungstermine wahrgenommen werden. Ist hingegen die Beweiserhebung schwierig oder muss ein psychologischer Gutachter zugezogen werden, lassen sich die vom Gesetzgeber vorgeschriebenen Zeiträume nicht immer einhalten. Eine längere Verfahrensdauer kann auch ein Hinweis auf die besondere rechtliche oder sachliche Problematik des Falles sein.
Anwaltliche Vertretung
Eine Anwaltspflicht für kirchliche Eheprozesse besteht in Deutschland nicht. Lediglich bei Verfahren vor der Römischen Rota müssen sich die Parteien von Anwälten vertreten lassen.
Dieser Rechtslage entsprechend werden die meisten Eheverfahren in Deutschland ohne anwaltliche Beteiligung durchgeführt. Selbstverständlich ist es den Parteien unbenommen, eine Anwältin oder einen Anwalt hinzuziehen. Sie/er muss in der Regel katholisch und Doktor des kanonischen Rechts oder im kanonischen Recht wirklich kundig sein und bedarf der Zulassung durch den Diözesanbischof.
Die Gerichte teilen auf Anfrage mit, welche Anwälte für ihren Bereich vom Diözesanbischof auf Dauer zugelassen sind (für Limburg vgl. die Liste der beim Bischöflichen Offizialat Limburg zugelassenen Anwälte). Darüber hinaus können Personen, welche die rechtlichen Voraussetzungen erfüllen, eine Zulassung für ein einzelnes Verfahren beantragen.
Prozesskosten
Die deutschen Bischöfe haben in Absprache miteinander für ihre Diözesen folgende Gerichtskosten festgelegt:
- Erstinstanzliche Verfahren - 200 Euro
- Zweitinstanzliche Verfahren - 100 Euro
- Drittinstanzliche Verfahren,
sofern sie in Deutschland durchgeführt werden -
100 Euro - Dokumentenverfahren (wenn die Beweisführung allein
aufgrund von authentischen Urkunden möglich ist) -
50 Euro
Für die von den Diözesangerichten angebotenen Beratungsgespräche werden keine Gebühren erhoben.
Die Prozesskosten sind vom Antragsteller zu tragen. Zusätzliche Kosten, zum Beispiel Auslagen für Zeugen oder Übersetzungskosten, entstehen nur in Ausnahmefällen. In Fällen mit dem Klagegrund psychisch bedingter Eheunfähigkeit kann ein psychologisches Gutachten erforderlich werden, für dessen Erstellung ein Sachverständigen-Honorar anfällt. Alle derartigen Zusatzkosten gehen zu Lasten der antragstellenden Partei.
Auf Antrag kann Prozesskostenhilfe oder ein Erlass der Prozesskosten gewährt werden.
Für Verfahren bei der Römische Rota gilt die römische Gebührenordnung. Die vor allem aus dem Anwaltszwang resultierenden dortigen Kosten sind abhängig vom notwendigen Aufwand und deutlich höher als in Deutschland. Sie liegen in der Regel im vierstelligen Eurobereich. Eine Prozesskostenhilfe kann auf Antrag gewährt werden.